sábado, 8 de agosto de 2020

UND 100 JAHRE SALZBURGER FESTSPIELE: WIE ALLES BEGANN


Mitten im Ersten Weltkrieg hatten ein Dichter, ein Komponist und ein Regisseur einen Traum. Das war die Geburtsstunde der Salzburger Festspiele.


JUBILÄUM: 100 JAHRE SALZBURGER FESTSPIELE
"Jedermann" - eine Notlösung
Die Nerven lagen blank bei den ersten Salzburger Festspielen: Das Auftragstück war nicht fertig geworden, und es gab nicht genug Bretter, um eine Tribüne zu bauen. Die brauchte man kurz nach dem Ersten Weltkrieg für andere Dinge. Also mussten ein anderes Stück und eine andere Kulisse her. Am 22. August 1920 wurde dann Hugo von Hofmannsthals "Jedermann" vor dem Dom gezeigt.

Kann Kultur identitätsstiftend wirken? Kann sie Völker verbinden, humanistische Ideale mit Inhalten füllen? Den europäischen Gedanken stärken? Solche Fragen beschäftigen Kulturschaffende und Politiker aktuell in unserer bewegten Zeit, in der Selbstverständlichkeiten ins Wanken geraten sind und man vom Werteverlust redet. Und meistens werden diese Fragen mit "ja" beantwortet.

Weltkrieg, Werteverlust, innere Einkehr
Ähnlich war es vor einem guten Jahrhundert, anno 1917 - mit dem Unterschied, dass Europa sich damals im Krieg befand. Inmitten der Katastrophe träumten drei Männer von einem kosmopolitischen Europa und von Festspielen, die Frieden stiften sollten.
Hugo von Hofmannsthal, Richard Strauss und Max Reinhardt hießen die drei Vordenker. Hofmannsthal war ein gefeierter Dichter, Schriftsteller und Librettist, der einen großen Einfluss auf seine Generation hatte. Strauss war der berühmteste Komponist seiner Zeit und Reinhardt der wichtigste Regisseur und Impresario. An die Gründung eines Theater- und Opernfestivals hatten auch der Operndirektor Franz Schalk und der Bühnenbildner Alfred Roller schon gedacht. 

Dabei griffen sie eine jahrzehntealte Idee auf, die spätestens nach 1876, dem Gründungsjahr der Bayreuther Festspiele, in der Luft gelegen hatte, nämlich Festspiele in der Geburtsstadt Wolfgang Amadeus Mozarts zu veranstalten. Wie in Bayreuth auch, sollten sie fernab der Kulturmetropolen stattfinden. Oder in den Worten Hugo von Hofmannthals: "Die Großstadt ist der Ort der Zerstreuung, eine festliche Aufführung bedarf der Sammlung, bei denen, die mitwirken, wie bei denen, die aufnehmen."
Gleichzeitig sollten die Salzburger Festspiele, wie sie später heißen sollten, ein Gegenprogramm zu den Festspielen im Norden Bayerns bieten: Stünden dort nur Richard Wagner und seine zehn festspieltauglichen Werke im Fokus, sollten es hier gleich mehrere Komponisten sein. Kurzum: Die ganze Welt der Kultur sollte hier abgebildet werden.

Dabei sollten die erträumten Festspielen an eine uralte Tradition anknüpfen: Im Mittelalter war Salzburg der Ort von Mysterienspielen, feierlichen Kirchenfesten und Prozessionen. Hier soll im 17. Jahrhundert auch die erste Oper nördlich der Alpen aufgeführt worden sein.
Utopie inmitten der Kriegsjahre
Es war ein tollkühner Gedanke, der nicht nur wegen des überall wütenden Krieges illusorisch wirkte. Es fehlte auch an einer adäquaten Spielstätte. In einem Werbeprospekt für die Festspiele heißt es: "Was gibt den Salzburgern und Österreichern den Mut dazu, im jetzigen Augenblick? Hofmannthals Antwort: Die Tatsache, dass alle Menschen jetzt nach geistigen Freuden verlangen."

In der Salzburger Stadtbevölkerung machte sich allerdings Skepsis breit. Man befürchtete, der Zustrom von Touristen würde den knapp gewordenen Vorrat an Lebensmitteln noch weiter dezimieren. Und der Jude Reinhardt, der 1917 ein altes Schloss in der Region gekauft hatte, bekam den wachsenden Antisemitismus der einheimischen Bevölkerung zu spüren.

1918 war der Erste Weltkrieg vorbei und das einst stolze österreichisch-ungarische Imperium auf einen Bruchteil seiner einstigen Größe geschrumpft. Zu den humanistischen Idealen der Visionäre kamen praktische Überlegungen hinzu: Der Tourismus musste angekurbelt werden, und vom alten Glanz der verlorenen Donaumonarchie sollte etwas für die Zukunft erhalten werden. Wo könnte das besser funktionieren als vor der Kulisse dieser schmucken Stadt im Zentrum Europas? "Die ganze Stadt ist Bühne", so formulierte es Max Reinhardt.


Jedermann für die Festspiele, aber Festspiele für jedermann?
Am 22. August 1920 war es dann soweit. In Anlehnung an die alte Tradition der Mysterienspiele in Salzburg wurde ein modernes Theaterstück aufgeführt: Hugo von Hofmannsthals "Jedermann - Das Spiel vom Sterben des reichen Mannes" in der Regie von Max Reinhardt. In schlichter, einfacher Sprache sollte das von einer religiösen Idee getragene Werk bewegen, ohne zu belehren.

Zu dem Theaterstück kamen 1921, im zweiten Jahr der Festspiele, Konzerte hinzu. Diese hatte Bernhard Paumgartner, der Leiter des Salzburger Mozarteums, mit lokalen Kräften organisiert. Festspiel-Mitbegründer Richard Strauss war nicht begeistert: Er selbst wollte die renommiertesten Künstler der Zeit bei den Salzburger Festspielen haben – und bekam sie auch.

Mit diesem Ansatz schlugen die Festspiele sofort ein. Ab dem dritten Jahr 1922 kamen Opernaufführungen hinzu: Opern von Mozart, aber auch von Strauss - vor allem die Werke, die er gemeinsam mit dem Librettisten von Hofmannsthal geschaffen hatte. Die drei Säulen Theater, Konzert und Oper geben bis heute den programmatischen Rahmen für die Festspiele.  Die Felsenreitschule wurde ab 1926 als Spielstätte benutzt, im Folgejahr wurde der Bau eines eigenen Festspielhauses abgeschlossen. 
Das Salzburger Ideal
Bis in die heutige Zeit steht "Jedermann" alljährlich auf dem Spielplan der Salzburger Festspiele - mit Ausnahme der Jahre zwischen 1938 und 1945: Nach dem Anschluss Österreichs an Nazideutschland wurde das Stück für ungeeignet erklärt, denn in Hugo von Hofmannsthals Stammbaum gab es einen Juden. Max Reinhardt wiederum setzte sich 1937 auf der Flucht vor den Nazis ins Ausland ab, er starb 1943 im US-amerikanischen Exil.

Bei der Aufführung von "Jedermann" vor der prächtigen Kulisse des Salzburger Doms verkörperten bisher 17 Schauspieler die Titelrolle. Nach der rituellen Eröffnung folgen dann rund 200 Aufführungen von Konzerten, Theaterstücken und Opern – davon mehrere Neuinszenierungen pro Saison.

Erfüllen die Festspiele die kosmopolitischen und völkerverbindenden Ideale ihrer Gründer? Fest steht: Von den rund 270.000 Besuchern im Jahrgang 2019 reisten die Besucher aus 78 Nationen an, 40 davon außerhalb Europas.

Und: Der Zustrom von internationalen Gästen hat die Lebensmittelvorräte vor Ort nicht knapp werden lassen. Im Gegenteil: Die Einnahmen aus Kartenverkäufen beliefen sich 2019 auf 31,2 Millionen Euro. Der Wirtschaftsfaktor der Festspiele ist aber um ein Vielfaches größer.
Einhundert Jahre nach der Gründung: Rückbesinnung aufs Wesentliche

Dass die Salzburger Festspiele im 100. Jubiläumsjahr überhaupt stattfinden - inmitten der Corona-Pandemie, in der die meisten Großvaeranstaltungen abgesagt werden mussten - unterstreicht den Ausnahmestatus eines der renommiertesten Festivals der Welt. Ein auf die besondere Situation angepasstes Programm vom 1. bis zum 30. August sieht weniger Veranstaltungen an weniger Orten vor, kürzere Programme, keine Konzertpausen und diverse andere Regelungen, um verordneten Hygienemaßnahmen zu entsprechen oder sie zu übertreffen.

Was bleibt, ist das hohe künstlerische Niveau mit Auftritten der Wiener und Berliner Philharmoniker, einer neuen Opernproduktion, eine Neuinszenierung von "Jedermann", Star-Solisten von der Sopranistin Anna Netrebko bis hin zum Pianisten Igor Levit und vieles mehr.

Gut möglich, dass das auf Abstand gehaltene Publikum diesmal weniger auf die Selbstdarstellung und mehr auf die Darbietungen fokussiert sein wird. Möglich auch, dass die Salzburger Festspiele im Ausnahmezustand auf ihren Kerngedanken zurückgeführt werden: Kunst als sinnstiftendes Element, das die Menschen zusammenbringt - vor allem in  Krisenzeiten.

Dies ist die aktualisierte Fassung eines früheren Artikels.

https://www.dw.com/de/100-jahre-salzburger-festspiele-wie-alles-begann/a-50218775

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