Mitten im Ersten Weltkrieg hatten ein Dichter, ein Komponist und
ein Regisseur einen Traum. Das war die Geburtsstunde der Salzburger Festspiele.
JUBILÄUM: 100 JAHRE SALZBURGER FESTSPIELE
"Jedermann" - eine Notlösung
Die Nerven lagen
blank bei den ersten Salzburger Festspielen: Das Auftragstück war nicht fertig
geworden, und es gab nicht genug Bretter, um eine Tribüne zu bauen. Die
brauchte man kurz nach dem Ersten Weltkrieg für andere Dinge. Also mussten ein
anderes Stück und eine andere Kulisse her. Am 22. August 1920 wurde dann Hugo
von Hofmannsthals "Jedermann" vor dem Dom gezeigt.
Kann Kultur identitätsstiftend wirken? Kann sie Völker verbinden,
humanistische Ideale mit Inhalten füllen? Den europäischen Gedanken stärken?
Solche Fragen beschäftigen Kulturschaffende und Politiker aktuell in unserer
bewegten Zeit, in der Selbstverständlichkeiten ins Wanken geraten sind und man
vom Werteverlust redet. Und meistens werden diese Fragen mit "ja"
beantwortet.
Weltkrieg, Werteverlust, innere Einkehr
Ähnlich war es vor einem guten Jahrhundert, anno 1917 - mit dem
Unterschied, dass Europa sich damals im Krieg befand. Inmitten der Katastrophe
träumten drei Männer von einem kosmopolitischen Europa und von Festspielen, die
Frieden stiften sollten.
Hugo von Hofmannsthal, Richard Strauss und Max Reinhardt hießen die
drei Vordenker. Hofmannsthal war ein gefeierter Dichter, Schriftsteller und
Librettist, der einen großen Einfluss auf seine Generation hatte. Strauss war
der berühmteste Komponist seiner Zeit und Reinhardt der wichtigste Regisseur
und Impresario. An die Gründung eines Theater- und Opernfestivals hatten auch
der Operndirektor Franz Schalk und der Bühnenbildner Alfred Roller schon
gedacht.
Dabei griffen sie eine jahrzehntealte Idee auf, die spätestens nach
1876, dem Gründungsjahr der Bayreuther Festspiele, in der Luft gelegen hatte,
nämlich Festspiele in der Geburtsstadt Wolfgang Amadeus Mozarts zu
veranstalten. Wie in Bayreuth auch, sollten sie fernab der
Kulturmetropolen stattfinden. Oder in den Worten Hugo von Hofmannthals:
"Die Großstadt ist der Ort der Zerstreuung, eine festliche Aufführung
bedarf der Sammlung, bei denen, die mitwirken, wie bei denen, die
aufnehmen."
Gleichzeitig sollten die Salzburger
Festspiele, wie sie später heißen sollten, ein Gegenprogramm zu den Festspielen
im Norden Bayerns bieten: Stünden dort nur Richard Wagner und seine zehn
festspieltauglichen Werke im Fokus, sollten es hier gleich mehrere Komponisten
sein. Kurzum: Die ganze Welt der Kultur sollte hier abgebildet werden.
Dabei sollten die erträumten Festspielen an
eine uralte Tradition anknüpfen: Im Mittelalter war Salzburg der Ort von
Mysterienspielen, feierlichen Kirchenfesten und Prozessionen. Hier soll im 17. Jahrhundert
auch die erste Oper nördlich der Alpen aufgeführt worden sein.
Utopie inmitten der Kriegsjahre
Es war ein tollkühner Gedanke, der nicht nur
wegen des überall wütenden Krieges illusorisch wirkte. Es fehlte auch an einer
adäquaten Spielstätte. In einem Werbeprospekt für die Festspiele heißt es:
"Was gibt den Salzburgern und Österreichern den Mut dazu, im jetzigen
Augenblick? Hofmannthals Antwort: Die Tatsache, dass alle Menschen jetzt nach
geistigen Freuden verlangen."
In der Salzburger Stadtbevölkerung machte sich
allerdings Skepsis breit. Man befürchtete, der Zustrom von Touristen würde den
knapp gewordenen Vorrat an Lebensmitteln noch weiter dezimieren. Und der Jude
Reinhardt, der 1917 ein altes Schloss in der Region gekauft hatte, bekam den wachsenden
Antisemitismus der einheimischen Bevölkerung zu spüren.
1918 war der Erste Weltkrieg vorbei und das
einst stolze österreichisch-ungarische Imperium auf einen Bruchteil seiner
einstigen Größe geschrumpft. Zu den humanistischen Idealen der Visionäre kamen
praktische Überlegungen hinzu: Der Tourismus musste angekurbelt werden, und vom
alten Glanz der verlorenen Donaumonarchie sollte etwas für die Zukunft erhalten
werden. Wo könnte das besser funktionieren als vor der Kulisse dieser schmucken
Stadt im Zentrum Europas? "Die ganze Stadt ist Bühne", so formulierte
es Max Reinhardt.
Jedermann für die Festspiele, aber Festspiele
für jedermann?
Am 22. August 1920 war es dann soweit. In Anlehnung an die alte
Tradition der Mysterienspiele in Salzburg wurde ein modernes Theaterstück
aufgeführt: Hugo von Hofmannsthals "Jedermann - Das Spiel vom Sterben des
reichen Mannes" in der Regie von Max Reinhardt. In schlichter, einfacher
Sprache sollte das von einer religiösen Idee getragene Werk bewegen, ohne zu
belehren.
Zu dem Theaterstück kamen 1921, im zweiten Jahr der Festspiele,
Konzerte hinzu. Diese hatte Bernhard Paumgartner, der Leiter des Salzburger
Mozarteums, mit lokalen Kräften organisiert. Festspiel-Mitbegründer Richard
Strauss war nicht begeistert: Er selbst wollte die renommiertesten Künstler der
Zeit bei den Salzburger Festspielen haben – und bekam sie auch.
Mit diesem Ansatz schlugen die Festspiele
sofort ein. Ab dem dritten Jahr 1922 kamen Opernaufführungen hinzu: Opern von
Mozart, aber auch von Strauss - vor allem die Werke, die er gemeinsam mit dem
Librettisten von Hofmannsthal geschaffen hatte. Die drei Säulen Theater,
Konzert und Oper geben bis heute den programmatischen Rahmen für die
Festspiele. Die Felsenreitschule wurde
ab 1926 als Spielstätte benutzt, im Folgejahr wurde der Bau eines eigenen
Festspielhauses abgeschlossen.
Das Salzburger Ideal
Bis in die heutige Zeit steht
"Jedermann" alljährlich auf dem Spielplan der Salzburger Festspiele -
mit Ausnahme der Jahre zwischen 1938 und 1945: Nach dem Anschluss Österreichs
an Nazideutschland wurde das Stück für ungeeignet erklärt, denn in Hugo von Hofmannsthals
Stammbaum gab es einen Juden. Max Reinhardt wiederum setzte sich 1937 auf der
Flucht vor den Nazis ins Ausland ab, er starb 1943 im US-amerikanischen Exil.
Bei der Aufführung von "Jedermann"
vor der prächtigen Kulisse des Salzburger Doms verkörperten bisher 17
Schauspieler die Titelrolle. Nach der rituellen Eröffnung folgen dann rund 200
Aufführungen von Konzerten, Theaterstücken und Opern – davon mehrere
Neuinszenierungen pro Saison.
Erfüllen die Festspiele die kosmopolitischen
und völkerverbindenden Ideale ihrer Gründer? Fest steht: Von den rund 270.000 Besuchern im Jahrgang 2019 reisten
die Besucher aus 78 Nationen an, 40 davon außerhalb Europas.
Und: Der Zustrom von internationalen Gästen
hat die Lebensmittelvorräte vor Ort nicht knapp werden lassen. Im Gegenteil:
Die Einnahmen aus Kartenverkäufen beliefen sich 2019 auf 31,2 Millionen Euro.
Der Wirtschaftsfaktor der Festspiele ist aber um ein Vielfaches größer.
Einhundert Jahre nach der Gründung:
Rückbesinnung aufs Wesentliche
Dass die Salzburger Festspiele im 100.
Jubiläumsjahr überhaupt stattfinden - inmitten der Corona-Pandemie, in der die
meisten Großvaeranstaltungen abgesagt werden mussten - unterstreicht den
Ausnahmestatus eines der renommiertesten Festivals der Welt. Ein auf die besondere
Situation angepasstes Programm vom 1. bis zum 30. August sieht weniger
Veranstaltungen an weniger Orten vor, kürzere Programme, keine Konzertpausen
und diverse andere Regelungen, um verordneten Hygienemaßnahmen zu entsprechen
oder sie zu übertreffen.
Was bleibt, ist das hohe künstlerische Niveau
mit Auftritten der Wiener und Berliner Philharmoniker, einer neuen
Opernproduktion, eine Neuinszenierung von "Jedermann", Star-Solisten
von der Sopranistin Anna Netrebko bis hin zum Pianisten Igor Levit und vieles
mehr.
Gut möglich, dass das auf Abstand gehaltene
Publikum diesmal weniger auf die Selbstdarstellung und mehr auf die
Darbietungen fokussiert sein wird. Möglich auch, dass die Salzburger Festspiele
im Ausnahmezustand auf ihren Kerngedanken zurückgeführt werden: Kunst als
sinnstiftendes Element, das die Menschen zusammenbringt - vor allem in Krisenzeiten.
Dies ist die aktualisierte Fassung eines
früheren Artikels.
https://www.dw.com/de/100-jahre-salzburger-festspiele-wie-alles-begann/a-50218775
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