Robert
Braunmüller,
Foto:
Winfried Hösl
Opernfestspiele im Prinzregententheater: König für einen Abend: "Les
Indes galantes", inszeniert von Sidi Larbi Cherkaoui und dirigiert von
Ivor Bolton
. Jahrhundert konnte sich jeder deutsche Duodezfürst einen Text von Pietro
Metastasio vom Hofkapellmeister vertonen lassen. Dann noch
rasch ein paar Geiger und zwei Kastraten gemietet, und fertig war die Oper. Das
wahre, schöne und wirklich gute Spektakel konnte sich allerdings nur der König
von Frankreich leisten: das „Opéra-ballet“, ein frühes Gesamtkunstwerk mit
Bühneneffekten, großem Orchester, Chören und eben: viel Ballett.
Die Oper
ist eine Weltreise der Liebe
Wir Bürger gönnen dem Feudalismus ein letztes
Rückzugsgebiet: unsere Bayerische Staatsoper unter dem Sonnenkönig Nikolaus
Bachler. Der kann es sich leisten, am Ende der Spielzeit für Jean-Philippe
Rameaus „Les Indes galantes“ extra ein Münchner Festspielorchester aus
Originalklang-Virtuosen zu engagieren. Und dazu noch den Freiburger
Balthasar-Neumann-Chor und Tänzer der Compagnie Eastman aus Antwerpen. Für eine
Woche im Prinzregententheater. Dann ist alles wieder vorbei.
Luxus, fürwahr. Aber der Aufwand lohnt. In
Rameaus Opéra-ballet wird kein schales Herrscherlob gesungen. Die Arien sind
kurz, die Musik bunt
und schnell. Es ist mehr eine Revue, eine Weltreise der Liebe. Und noch viel
mehr: „Les Indes galantes“ atmet den Geist der französischen Aufklärung. Es
geht um die Gleichheit aller Menschen in der Liebe, mit einer finalen
Verbrüderung aller Völker. Nicht ganz so idealistisch wie in Beethovens
„Fidelio“. Ein bisschen handfester, erotischer, menschlicher.
Der Belgier Sidi Larbi Cherkaoui bringt das mit
viel Witz auf die Bühne. Es ist unmöglich zu sagen, wo die Regie endet und die
Choreografie beginnt. Die Sänger tanzen, alle bilden ein großes Ensemble. Im
Balthasar-Neumann-Chor singen ganz wunderbare Charakterköpfe. Cherakouis
Companie Eastman besteht aus internationalen Individualisten, die eine wilde
Mischung aus Breakdance und Modern Dance auf die Bühne zaubern.
Anna Viebrocks Bühnenraum ist eine Mischung aus
Naturkundemuseum und Klassenzimmer – zwei Orte, an denen der Geist der
Aufklärung bis heute würdig weiterlebt. Die Inszenierung erzählt die
türkischen, peruanischen, persischen und kanadischen Liebesabenteuer locker und
assoziativ. Dass nicht alles mit restloser Konsequenz durchgezogen wird, passt
zur offenen Form dieser Verbindung aus Oper und Ballett.
Die Aufführung ist ein Fest der Viel- und
Mehrdeutigkeit. Im orientalischen Akt verschwimmen Harem und Ehegefängnis in
Museumsvitrinen. Der peruanische Sonnenpriester des zweiten Teils ist ein
katholischer Pfarrer, der seine Gemeinde mit Massentaufe und Massenhochzeit wie
eine Sekte dirigiert. Dass diese Oper auch viel mit dem frühen Kolonialismus zu
tun hat, macht der immer wieder die Bühne fegende Asiate kenntlich, der einmal
ganz wunderbar akrobatisch mit seinem Feudel tanzt.
Neubürger
und Eingesessene vereinen sich beim Putzen
Nach der Pause, im persischen Akt, spielt
Cherkaoui auf Flüchtlinge und Migranten an. Aber mehr poetisch als politisch
und umso anrührender. Manchmal erinnern die Menschen mit ihren verklebten
Plastiktüten auch nur an tibetische Pilger. Dann macht die Festung Europa
dicht, doch ein smarter Politiker lässt noch ein paar Leute hinein. Die fallen
auch über einheimische Frauen her, bekommen aber ziemliche Tritte in die
Weichteile.
Dann setzt der vom Dirigenten Ivor Bolton ganz
bedächtig gesteigerte Schluss-Tanz ein. Das Orchester spielt unter seiner
Leitung den ganzen Abend unglaublich farbig und wendig. Einmal sind sogar Dudelsäcke
zu hören. Alles wird mit Liebe gemacht, sogar das Rauschen des Windes, für das
die Schlagzeugerin in eine Flüstertüte bläst. Die Sängerbesetzung mischt Stars
wie Anna Prohaska mit Nachwuchs wie Lisette Oropresa und Ensemblemitgliedern
wie Goran Jurič und Tareq Nazmi: Unterschiede sind da kaum herauszuhören. Dass
nicht alle stilistisch ganz einheitlich singen, stört nicht wirklich.
Kurz vor Schluss vereinen sich Neubürger und
Eingesessene beim Putzen. Jemand schwenkt eine blaue Fahne ohne Europa-Sterne.
Die Kinder sitzen einträchtig im Klassenzimmer. Drei Soldaten auf Hoverboards
sichern das Terrain. Eine heitere Utopie, doch dem Frieden ist nicht zu trauen:
Bolton lässt den letzen Akkord ganz leise verklingen. Beim begeisterten
Schlussapplaus rollte zuletzt auch Cherkaoui auf die Bühne. Man fühlt sich im
Prinzregententheater wie Ludwig XV. Oder wie Gott in Frankreich.
http://www.abendzeitung-muenchen.de/inhalt.opernfestspiele-les-indes-galantes-koenig-fuer-einen-revue-abend.36a37c49-4b25-45be-9ce3-af6dbbe4cd7c.html
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