Der Walldorfer Musikforscher Timo
Jouko Herrmann hat ein Gemeinschaftswerk von Mozart und Salieri in Prag
entdeckt
19.01.2016
Von Matthias Roth
Walldorf/Prag. Gelegentlich
kommt es Schlag auf Schlag, denn wer sucht, findet oft - wenn auch nicht immer,
was er sich erhofft. Gerade mit seiner Doktorarbeit fertig und einer
umfangreichen Publikation zu dem Komponisten Antonio Salieri (1750-1825) hervorgetreten
- siehe Rezension auf dieser Seite - macht der Musikwissenschaftler, Komponist
und Dirigent Timo Jouko Herrmann eine sensationelle Entdeckung im tschechischen
Musikmuseum der Prager Nationalbibliothek: Dort befindet sich nicht nur das
Textbuch, sondern auch ein Anhang mit Noten zu einer Solokantate, die Wolfgang
Amadeus Mozart und Salieri zusammen komponierten. Das Verrückte daran: Man
wusste bisher nur, dass dieses Werk mit der Köchel-Verzeichnisnummer 477a in
mehreren Zeitungen 1785 angekündigt wurde, aber keiner hat es je gesehen. Es
galt als verschollen, unauffindbar, vielleicht nie existent.
Glücklicher Finder: Timo Jouko Herrmann. Foto:
Pfeiffer
Weder der Ritter von Köchel,
dessen sorgfältig erstelltes Gesamtverzeichnis von Mozarts Werken bis heute (in
der erweiterten 8. Auflage) als Standard dient, noch einer der unzähligen
späteren Mozartforscher konnte bisher sagen, ob und wo sich ein Exemplar diese
Kantate erhalten hat. Man kannte zwar die Umstände der Entstehung dieser
Komposition, aber ihr Verbleib war rätselhaft: "Per la ricuperata salute
di Ofelia" entstand auf einen Text von Lorenzo da Ponte. Ein
"Freudenlied" für die Sängerin Nancy Storace, die mitten in einer
Aufführung ihre Stimme verloren hatte und erst vier Monate später wieder auf
der Bühne singen konnte.
Salieri hatte für sie die
Rolle der Ofelia in seiner Oper "La grotta di Trofonio" geschrieben,
deren Premiere am Wiener Burgtheater aber durch die Erkrankung der Sopranistin
verschoben werden musste. Mozart schrieb ihr später, nach der Genesung, die
Susanna seiner Oper "Le nozze di Figaro" auf den Leib. Beide
Komponisten waren der berühmten Sängerin also eng verbunden. Das
Gelegenheitswerk, an dem noch ein Dritter mit Namen Cornetti - seine Identität
ist bislang ungeklärt - beteiligt war, wurde offenbar als Genesungsgruß für
Singstimme und Generalbass verfasst. Von den 30 Strophen des Gedichts wurden
allerdings nur vier vertont, die von Salieri und Cornetti rahmen die beiden von
Mozart ein.
Das nun entdeckte Exemplar in
der Prager Bibliothek, das erstmals nicht nur Text und Komposition von KV 477a
dokumentiert, sondern überhaupt die vermutete, aber bislang unbeweisbare
Zusammenarbeit der Komponisten Mozart und Salieri belegt, ist ordnungsgemäß im
Online-Katalog der Bibliothek registriert: Es scheint bisher nur noch niemandem
aufgefallen zu sein, dass es sich bei diesem Titel um das bei Köchel erwähnte,
allgemein verloren geglaubte Werk handeln könnte.
"Ich wollte eigentlich
nur den Li-bretto-Katalog der Bibliothek im Internet durchgehen", so Timo
Jouko Herrmann im Gespräch, "auf der Suche nach Titeln eines
Salieri-Schülers. Hocherfreut war ich schon, als ich auf den Text stieß! Es
wäre ja schon eine kleine Sensation gewesen, den Nachweis zu erbringen, dass
ein solches Werk überhaupt tatsächlich existiert hat. Aber als es dann auf
Nachfrage hieß, ob ich nur den Text oder auch die dazu gehörenden Noten haben
wollte, konnte ich mein Glück kaum fassen."
Wie so häufig können
Bibliotheken meist nicht wissen, welche Bedeutung ihre Schätze wirklich haben.
Da braucht es Spezialisten. Timo Jouko Herrmann fiel der Titel beim
"Rumklicken" in den Li-bretto-Listen auf, weil er ihn durch seine
Doktorarbeit gerade präsent hatte und wusste, was es damit auf sich hat. Aber
erst die Nachfrage lüftete das Geheimnis dieses Drucks und machte die Sensation
perfekt.
Wie geht es jetzt mit dem Fund
weiter? Timo Jouko Herrmann plant eine baldige Publikation im Leipziger
Hofmeister Verlag, wo das Original der entdeckten Noten und eine moderne
Aussetzung erscheinen sollen, die es jedem Musiker ermöglicht, das Werk
aufzuführen. Die Leitung des Mozarteums in Salzburg hat ebenfalls spitze Ohren
bekommen: Man plant eine öffentliche Präsentation und Aufführung des
unbekannten Originalwerkes, denn ein solches wird aus Mozarts Hand nicht mehr
häufig ans Licht der Welt gebracht.
Muss nun die Musikgeschichte
gänzlich umgeschrieben oder zumindest der berühmte "Amadeus"-Film,
der Mozart und Salieri als erbitterte Feinde zeigt, neu gedreht werden?
Musikhistorisch, so Timo Jouko Herrmann, wisse man seit langem, dass sich
Mozart und Salieri nicht spinnefeind waren und sie sich gegenseitig schätzten.
"Doch der Nachweis ihrer direkten Zusammenarbeit hat bisher gefehlt."
So wäre es tatsächlich an der Zeit, vor allem das gängige Salieri-Bild zu
revidieren, denn dieser sei in der Musikgeschichte ungerechtfertigterweise neben
Mozart immer schlechter weggekommen.
http://www.rnz.de/kultur-tipps/kultur-regional_artikel,-Walldorfer-Musikforscher-weist-Teamwork-von-Mozart-und-Salieri-nach-_arid,162807.html
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